Reflexionen zur Tagung der Arbeitsgemeinschaft für Kieferchirurgie und des Arbeitskreises für Oralpathologie und Oralmedizin in der DGZMK vom 17. bis 19. Mai 2007 in Wiesbaden. Nach der Gynäkologin Dr. Petra Stute (Münster) stellt die Osteoporose einen regelhaften Vorgang nach der Menopause der Frau (und gut 10 Jahre später auch beim Mann) dar. Wegen schwerwiegender Nebenwirkungen ist die Hormonsubstitutionstherapie in Verruf geraten. Deshalb werden bei stärkerem Verlust der Knochendichte neben einer Kalziumgabe zunehmend antiresorbtive Medikamente wie die Bisphosphonate eingesetzt. Letztere stehen im Blickpunkt der Kieferchirurgen wegen der erst seit kurzer Zeit beschriebenen Bisphosphonat assoziierten Knochennekrose im Kieferbereich. Prof Dr. Dieter Felsenberg aus dem Zentrum für Muskel- und Knochenforschung der Charite in Berlin hat für dieses Krankheitsbild ein bundesweites Register installiert. In einem hervorragenden Vortrag stellte er die Bisphosphonattherapie und die Bedeutung der Osteoporose für den Kieferbereich dar. Generell steht der funktionelle Abbau der Knochenstruktur in Abhängigkeit von der im Alter hinsichtlich der Leistungsfähigkeit begrenzten Muskelfunktion. Folge sind Empfehlungen zum Muskeltraining wie der Rückenschulungen. Bisphosphonatbehandlungen stellen nur einen Weg für die Beeinflussung der Knochendichte dar, die einfach bestimmbar, aber keineswegs immer prognostisch bedeutsam ist. Bisphosphonatbehandlungen weisen ein breites Spektrum auf und durchaus nicht jede dieser Behandlungen stelle nach Felsenberg eine Kontraindikation für Implantationen dar. Dieses Statement rief zu Recht den Widerspruch der Kliniker unter Berufung auf eine aktuelle Stellungnahme der AAC auf den Plan. Eine Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Dr. Kunkel (Mainz) demonstrierte in einem Kurzvortrag vor, dass entgegen der Erwartung bei der Bisphosphonat- assoziierten Knochennekrose im Gegensatz zur Osteoradionekrose die Osteoklastenzahl weder in ihrer Anzahl noch in ihrer Funktion beeinträchtigt ist, so dass die Frage der Pathogenese neu durchdacht werden muss. Die gleiche Arbeitsgruppe zeigte, dass das Krankheitsbild sehr wohl auch nach Bisphosphonatbehandlung aufgrund von Osteoporose aufgetreten ist. Nach diesen aktuellen Vorträgen waren Hauptvorträge zur Geschichte der Kieferhöhlenoperationen, zur Sinusitis maxillaris, zur Sinusbodenelevation und zu Physiologie und Anatomie (durch den Kieferorthopäden Prof. Dr. Ralf Radlanski) deutlich weniger spannend und rundeten nur die Gesamtschau ab. Rhetorisch und inhaltlich exzellent waren Ausführungen von Prof Dr. Dr. Henning Schliephake (Göttingen) zur traumatisierten Kieferhöhle, die das wenig bearbeitete Gebiet systematisch vorstellten. Prof. Dr. Dr. Siegmar Reinert (Tübingen) beschäftigte sich mit dem aktuellen Stand der operativen Therapie der Sinusitis maxillaris. Der von den HNO-Ärzten regelhaft eingesetzte endoskopisch kontrollierte Zugang zu der osteomeatelen Einheit ist heute State of the Art und hat die von unserer Generation geübten Verfahren abgelöst. Das zwingt zu Änderungen der Ausbildungsstandards in der MKG- Chirurgie, wenn dieses Tätigkeitsfeld nicht unserem Fachgebiet verloren gehen soll. Der hochaktuelle Vortrag von Professor Dr. Hartwig Kossmehl (Erfurt) zum neuen Spektrum epithelialer Tumoren von Nase und Nasennebenhöhlen mit dem besonderen Hinweis auf die neue Entität des besonders agggresiven sinonasalen undifferenzierten Karzinoms (SNUC) fand im Rahmen der Sitzung des Arbeitskreises für Oralpathologie unverdient ein viel zu geringes Publikum, was auch für einen der Höhepunkte des Kongresses, nämlich für die Disputationes zur Tumorchirurgie der Oberkiefers zutraf. Ob die Resektionshöhle im Oberkiefer primär operativ verschlossen werden solle, diskutierten ((Moderation Prof. Dr. Dr. Dieter Riediger Aachen) Prof. Dr. Dr. Michael Ehrenfeld (Pro) und Prof. Dr. Dr. Dietrich Wollf – Bochum und bald ebenfalls München (Kontra). Wenngleich die operative Wiederherstellung des knöchernen Oberkiefergerüstes mittels mikrochirurgischer Knochentransplantate eine herausragende operationstechnische Leistung darstellt, scheint in der Mehrzahl der Fälle doch die Defektversorgung durch Resektionsprothesen zu erfolgen, deren Funktionswert durch Implantate deutlich verbessert wird. Gleichartig spannend war die Diskussion unter der Moderation durch Prof. Dr. Dr. Franz Härle (Kiel), ob bei Oberkiefertumoren bei klinisch metastasenfreiem Zustand eine Lymphknotentherapie erfolgen sollte (Pro: Prof. Dr. Dr. Christopher Mohr- Essen) oder nicht (Kontra: Prof. Dr. Dr. Johannes Schubert- Halle). Daten aus der Hallenser Klinik für MKG- Chirurgie belegen die Berechtigung des zweiten Konzeptes. Aus der Fülle der Vorträge zum Tag der Wissenschaft und der Poster, die sich vordergründig mit Problemen der Gewebszüchtung und der Osteologie auseinandersetzten, können nur wenige Schlaglichter erwähnt werden: Dr. Frank Strietzel (Berlin) zeigte anhand einer Metaanalyse zum Einfluss des Rauchens auf die Prognose von Implantationen und Augmentationen, dass oberflächenmodifizierte Implantate im Gegensatz zu glatten den prognostisch negativen Einfluß des Rauchen weitgehend ausgleichen können. Vera Stock (Göttingen) stellte mit der Frailty- Analyse ein statistisches Verfahren zur Bewertung des Implantaterfolgtes vor, welches wegen der nun möglich gewordenen Einbeziehung aller Implantate bei einem Patienten sich rasch seinen Platz bei Kontrollstudien erobern wird. Dr. Dr. Ralf Smeets (Aachen) zeigte in einer Reihe von Vorträgen, dass Zellen der Zahnpulpa für die Gewebezüchtung sogar peripherer Nerven als Ausgangspunkt geeignet sind. Prof. Dr. Dr. Knut Grötz (Wiesbaden)und PD Dr. Dr. Al Nawas (Mainz) demonstrierten, dass die Erfolgsrate des Sinuslifts mit simultaner Implantatinsertion nicht von der Restknochenhöhe sondern einzig von der Möglichkeit der primären Implantatstabilisierung abhängt. Wir selbst zeigten an älteren Daten zum Kieferhöhlen- und Oberkieferkarzinom, dass bei simultaner Analyse populations- und kliniksbezogener Daten die Prognose bei operativem Vorgehen nach MKG- chirurgischen Prinzipien anderen Verfahren überlegen war. Fazit: Es war eine ausgezeichnet aufeinander abgestimmte Tagung zu zwei eng umschriebenen Themenkomplexen ohne zu viele Parallelveranstaltungen mit ausreichender Zeit für Diskussionen, kurz eine wissenschaftliche Veranstaltung von bemerkenswertem Rang. Hierfür sei der wissenschaftlichen Leitung unter Prof. Dr. Gerhard Wahl ebenso gedankt wie den herausragenden Referenten Schliephake, Wolff, Kossmehl und Grötz sowie dem zwar emeritierten, aber ungebrochen hoch engagierten Professor Härle. Die nächste Tagung wird in Wiesbaden Himmelfahrt 2008 zu den Themen Chirurgie im Alter und Prävention stattfinden. Dr. med. habil. Lutz Tischendorf, Halle 02.10.2007 | |