Impressionen von der 4. Gemeinschaftstagung der Österreichischen Gesellschaft für Implantologie, der Deutschen Gesellschaft für Implantologie und der Schweizerischen Gesellschaft für Implantologie vom 29.11. bis 1.12. 2007 in der Wiener Hofburg zum Thema „Ästhetik in der Implantologie".

Die Mitglieder der drei deutschsprachigen Gesellschaften für Implantologie haben sich bereits zum 4. Mal zu einer gemeinsamen Tagung in der Adventszeit zusammengefundenen. Dieses Mal kamen über 1500 Interessierte nach Wien in die Hofburg. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stand die Ästhetik- also ein prothetischer Aspekt der Implantatversorgung.

Ich beschränke ich auf die Besprechung des Hauptprogramms. Es wurde eingeleitet von dem Bioniker Professor Dr. Alfred Vendl aus dem Wiener Institut für Kunst und Technologie zur Frage von Ästhetik und Funktion in der Natur. Deren Variationen spielen für natürliche Auslese und Überlebensprozess eine erhebliche Rolle. Sie werden analysiert und man versucht, sie auch für medizinische Zwecke technologisch nachzuvollziehen.

Der Theologe Professor Dr. Martin Karrer aus Wuppertal analysierte das Schöne, das Gesicht und die Zähne in der Kunst im Wandel der Zeit. Offenbar war es in Zeiten unvollkommener ästhetischer Versorgungsmöglichkeiten für Zähne verpönt, diese oder den offenem Mund darzustellen. Das Kaschieren der Zahnlosigkeit war auch eine Frage der Würde des Menschen. Das wandelte sich zur werbeträchtigen Darstellung des aufdringlichen „Full smile". Derzeit scheint sich zumindest in der bildenden Kunst eine gegenläufige Tendenz zu entwickeln, die Professor Karrer als Krise des Lächelns bezeichnete. 

Nach diesen Prämissen erfolgte der Einstieg in das engerer Fachgebiet durch einen herausragenden Vortrag von Frau Professor Ingrid Grunert aus Innsbruck zum Thema „Weiße Ästhetik: Möglichkeiten und Grenzen mit Hilfe neuer Materialien". Der Wechsel von Metallkeramik zu CAD CAM- Technologien und dem Zirkoniumoxyd geht rasch vonstatten. Aber für die Fülle neuer Lösungen liegen selten Langzeitstudien vor. Dem Patienten käme es aber auf Langzeitergebnisse an. Insbesondere beträfe dies den Einsatz im Seitenzahnbereich. Der Einsatz des Zirkonoxyds ist trotz seiner Vorteile (Ästhetik, verminderte Plaquebesiedelung) noch nicht ausreichend langzeitig überprüft. Als Probleme wurden angesprochen das Abplatzen der Verblendkeramik in 15%, Schwierigkeiten bei Korrekturen von (auch sekundär entstehenden) Okklussionsstörungen und die ungeklärte Frage, wie man größere zementierte keramische Strukturen zerstörungsfrei entfernen kann. Dr. Egon Euwe (Mailand) referierte zu determinierenden Faktoren in der roten Ästhetik. Er betonte die Notwendigkeit der weichgeweblichen Strukturen (Dicke über 2mm) für die Ästhetik und zeigte, wie diese mittels periodontalchirurgischer Maßnahmen zu erreichen und zu erhalten ist.

Spannend war eine Streitdiskussion zum Zeitmanagement unter dem Blickwinkel einer optimalen Ästhetik. Dr. Michael Stimmelmayr (Cham) , Professor Dr. Christoph Hämmerle (Zürich) und Professor Rudolf Fürhäuser (Wien) hatten die Aufgaben, über „die Spätimplantation als Schlüssel für den ästhetischen Erfolg", über „die verzögerte Sofortimplantation für ein vorhersagbares ästhetisches Ergebnis" und über „die Sofortimplantation zum Erhalt natürlicher Ästhetik" zu diskutieren. Letztlich gibt es für jede der Vorgehensweisen Indikationen und Argumente. Die Spätimplantation ist bei eingeschränktem Substanzangebot unverzichtbar. Sie ist bei ästhetischen Ansprüchen aber an einen höheren Aufwand und oft an mehrere Eingriffen gebunden. Für die verzögerte Sofortimplantation sprechen nachweislich vorhersagbare ästhetische Ergebnisse. In ausgewählten Fällen ist es mit großem planerischen und zahntechnischem Aufwand (DVT zur Neigungs- und Lagebestimmung des Implantates, individuelles Copy- Abutment) und bei lappenfreiem Vorgehen möglich, ästhetisch relevante hart- und weichgewebliche Strukturen zu bewahren. Dies scheint nicht zu gelten für Fälle mit dünnem Gingivatyp. 

Zur hartgeweblichen Rekonstruktionen bei der ästhetischen Rehabilitation stellte Professor Dr. Giuseppe Cardaropoli (New York) seine neuesten Studien zur Heilung von Extraktionsalveolen und chirurgisch gesetzten Defekten vor. Ein Sofortimplantat vermag entgegen früherer Anschauungen die typischen Resorptionsvorgänge an der knöchernen Alveolenwand nicht zu stoppen- auch nicht bei lappenlosen Vorgehen. Hieraus resultieren Empfehlungen für die s. g. Socket preservation. Professor Dr. Dr. Hendryk Terheyden (Kassel) diskutierte in einem klar strukturierten Vortrag Sofort– versus Spätrekonstruktion der Extraktionsalveole im ästhetischen Gebiet. Grundgedanke ist die Alveolenversiegelung mit biologischem Gewebe zum Erhalt alveolärer Strukturen bzw. zum Schutz von dessen Aufbau. Aus der Wandigkeit leitet er ein abgestuftes Vorgehen und den Zeitpunkt für die Rekonstruktion der Alveole ab. PD Dr. Dr. Schlegel (Erlangen) und Professor Dr. Karl Donath (Rödinghausen) definierten Gewebsreaktionen im Hart- und Weichgewebe auf verschiedenen Knochenersatzmaterialien als chronische Entzündung vom Fremdkörpertyp. Professor Dr. Dr. Friedrich Neukam (Erlangen) diskutierte praxisreife Augmentationsverfahren. In einer Streitdiskussion zwischen Professor Christoph Hämmerle (Zürich) und Professor Norbert Jakse (Graz) wurden Knochenersatzmaterialien und Knochen in ihren Vor- und Nachteilen dargestellt . Der Wiener plastische Chirurg Dozent Rafic Kuzbari eröffente den Tagungsabschnitt zum Weichgewebsmanagement . Er demonstrierte extraorale Anwendungsprinzipien von Hart- und Weichgewebstransplantaten. Dozent Christoph Pertl (Graz), stellte Tipps und Tricks zu optimaler Schnittführung, Nahttechnik und zum Weichgewebsmanagement vor. Professor Dr. Markus Hürzeler (München) sprach in gewohnter Emphase zur Optimierung der Implantatästhetik durch Weichgewebstechniken und zu deren (oft noch nicht belegten) Langzeitergebnissen. Dabei unterschied er das Vorgehen bei der Zahnentfernung, vor der Implantation, während der Implantation und bei der Implantatfreilegung. Ausschlaggebend für ein stabiles ästhetisches Ergebnis sei die operativ modifizierbare Dicke der Gingiva. Empfehlungen von vor 10 Jahren- auch eigene- seien überholt! 

PD Dr. Hans-Hermann Dubben (Hamburg) widmete sich dem Täuschen, Tarnen und Tricksen in der medizinischen Forschung. Anhand eindruckvoller Beispiele zeigte er, wie durch falschen Studienansatz, Unterschlagung von Daten oder unter Veränderungen des Studiendesigns (oft auf Druck der Geldgeber) verzerrte Ergebnisse erzielt werden, dass jüngst aber bewusste Täuschungen auch in sehr renommierten Zeitschriften aufgetaucht seien. Bestenfalls 10% aller Studien seien nach wissenschaftlichen Analysekriterien einwandfrei. Diese Unregelmäßigkeiten führen zu einem Ansehensverlust der Wissenschaft!

PD Dr. Giovanni Salvi (Bern) analysierte im parodontal kompromittierten Gebiss Erfolgsaussichten durch Rekonstruktionen auf Zähnen oder auf Implantaten. Noch vor wenigen Jahren wurde in der Implantologie die Meinung vertreten, dass in parodontal vorgeschädigten Situationen Implantate die besseren Zähne seien. Neuere Studien ziehen diese Aussage in Zweifel: Beide Vorgehensweisen sind fast gleichartig hoch komplikationsbehaftet. Nach Zahnverlust infolge Parodontitis ist das Implantatüberleben nach 10 Jahre mit 90% geringer als nach Zahnverlust infolge anderer Ursachen (96%). Dabei zeigen zahngetragene Brücken eine Überlebenswahrscheinlichkeit von 89%, implantatgetragenen von 90%. Nach Professor Dr. Manfred Wichmann (Erlangen) ist es aus prothetischer Sicht durch abnehmbare implantatprothetische Konzepte sicherer und oft kostengünstiger, hart- und weichgewebliche Defekte auszugleichen als durch medizinisch aufwendigere plastisch- chirurgischen Knochen- und Weichgewebsaufbauten und festsitzenden Versorgungen. Neue preisgünstigere Kunststoffe könnten wegen der einfacheren Korrekturmöglichkeiten den heute empfohlenen Keramiken den Rang ablaufen.

Prof. Dr. Dr. Thomas Bernhardt (Wien) sprach zu Möglichkeiten der implantatverankerten Orthodontie. Professor Dr. Watzek (Wien) stellte Erfahrungen an über 400 einzigartigen Fällen zur implantologischen Behandlung bei multiplen Nichtanlagen von Zähnen vor. Er ging insbesondere auf die Unsicherheiten ein, von welchem Lebensalter an Implantatversorgungen möglich und notwendig werden. Möglicherweise könnte neben der Lokalisation der Wachstumstyp (horizontal/vertikal) eine Entscheidungshilfe sein. Dr. Albino Triaca (Zürich) zeigte in einem Feuerwerk individueller Lösungsansätze bei Gesichtsschädeldeformitäten, wie für jeden Einzelfall durch Segmentosteotomien und Distraktionen eine individuelle Lösung machbar ist. Der Vortrag mit einer Fülle eigener Lösungsansätze der orthognathen und ästhetischen Chirurgie war ein Höhepunkt der Tagung. 

Der letzten Kongresstag wurde mit Planungsvorschlägen für 2 Patientenfälle durch je einen Vertreter aus der Schweiz (Frau Professor Dr. Regina Mericske-Stern- Bern), aus Deutschland (Dr. Gerhard Iglhaut (Memmingen) und aus Österreich (Professor Dr. Georg Mailath- Pokorny-Wien) eröffnet. Einmal handelte es sich um eine Einzelzahnversorgung nach Unfall. Im zweiten Falle ging es um die Versorgung einer Patientin, deren allgemeine Störungen (Depressionen, Durchblutungsstörungen, medikamentös bedingte Störungen der Blutgerinnung, exzessive Raucheranamnese, Bruxismus) an die Grenze einer Versorgungsmöglichkeit mit Implantaten insbesondere mit Zusatzmaßnamen ( Augmentationen, Sinusbodenelevationen) führte. Dies fand in einigen Planungen keine Niederschlag, wurde aber in der Realität durch schonende schablonengeführte Insertionen nach dem Malo- schen Prinzip gelöst. Professor Dr. Klaus Gotfredson (Kopenhagen) berichtete über skandinavische prospektive Studien zum implantatgetragenen Einzelzahnersatz aus biologischer, technischer und ästhetischer Sicht und unter Berücksichtigung der Lebensqualität Verzögerte Sofortimplantate mit individuellem Abutment scheinen sich aus Sicht der Zahnärzte bewährt zu haben, bieten aber trotz höher Kosten hinsichtlich der Lebensqualität keine Vorteile. Überhaupt scheint das Urteil des Patienten für die Erfolgsbewertung zu selten Berücksichtigung zu finden.

Professor Dr. Günter Dhom (Ludwigshafen) analysierte in einem systematischen Literaturreview an 710 Publikationen, welche Faktoren die Ästhetik beeinflussen. Die Datenlage ist hinsichtlich der Langzeitergebnisse wenig aussagekräftig, wenn man von der Wertigkeit der dreidimensionalen Implantatpositionierung (Abstand zu Nachbarzahn: 3mm)und der Dicke der Gingiva absieht. Unproblematisch ist das Implantieren nur, wenn keine Hart- und Weichgewebsdefekte vorliegen. 

Professor Dr. Werner Zechner (Wien) bestimmte Mehrkosten für erhöhte Ansprüche an die Ästhetik. Diese sind erheblich variabel. Besonders steigen Material- und Technikkosten weniger die Arzthonorare bei erhöhtem ästhetischem Anspruch. CAD- CAM- Lösungen könnten zu einer Preisreduktion führen. Keramiken und Titan könnten das im Preis steigende Gold ablösen. 

Der letzte Abschnitt beschäftigte sich mit dem kompromittierten Implantat. Professor Dr. Dr. Henning Schliephake (Göttingen) analysierte Möglichkeiten, das Implantatlager durch neue Implantat- und Knochenersatzmaterialien zu beeinflussen. Generell ist das Evidenzlevel dieser neuen Möglichkeiten noch sehr niedrig. Professor Dr. Martin Lorenzoni (Graz) diskutierte Sanierungsmöglichkeiten beim ästhetisch fehlgeschlagenen Implantat. Besonders bei nebeneinander stehenden Implantaten könne das ästhetische Ergebnis problematisch werden. PD Dr. Michael Stiller (Berlin) stellte kasuistisch Korrekturmöglichkeiten für das ästhetisch kompromittierte Implantat vor, die oft in der Implantatentfernung und Neuversorgung nach Knochenaufbau und mikrochirurgischer Weichgeweberekonstruktion (submukös gestielter Palatinalappen) bestehen müssen. 

Umrahmt wurde die Veranstaltung von 6 Industrieworkshops, zwei Postkongressworkshops und einer umfangreichen Industrieausstellung. Ergänzt wurde das Hauptprogramm wurde durch 64 freie Vorträge sowie 33 Poster. Prämiert wurden der Vortrag von Dr. Stefan Fickl und Mitarbeitern aus München über volumetrische Untersuchungen zur bukkooralen Dimensionsveränderung nach Zahnextraktion mit und ohne Lappenplastik und das Poster von Dr. Birgit Mair und Mitarbeitern (Wien) zu „Age- related effcts of PTH on osseoinegration of titanium implants in the rat tibia". Erwähnenswert sind zwei weitere Vorträge: Dr. Robert Nölken und Mitarbeiter (Lindau/Mainz) zeigten an 159 Sofortversorgungen mit dem Nobel Perfekt Implantat ästhetisch sehr günstige Ergebnisse. Dr. Dr. Stephan Becker und Mitarbeiter (Kiel) analysierten Folgerungen aus 41 Perforationen der Schneiderschen Membran während Sinusliftoperationen. 

Für die Implantologen Mitteldeutschlands brachte die Mitgliederversammlung des DGI eine einschneidende Veränderung: Sie befürwortete einstimmig der Fusion der Mitteldeutschen Vereinigung für zahnärztliche Implantologie (MVZI). Als Mitteldeutscher Landes verband für zahnärztliche Implantologie (MVZI) hat der bisherige Verein nun den Status eines Landesverbandes in der DGI. Der Ehrenpräsident des MVZI und führende Pionier der Implantologie in der vormaligen DDR, Herr Dr. med. habil Wolfram Knöfler aus Leipzig, wurde zum Ehrenmitglied der DGI ernannt. Die aus diesem Anlass von dem Präsidenten des MVZI, Herrn Professor Dr. Graf (Leipzig) gehaltene Laudatio würdigte die seinerzeitigen Forschungstätigkeiten in ihrem Umfeld und ihre bis in die Gegenwart reichenden Nachwirkungen. Sie sollte im Original publiziert und nachgelesen werden. 

Der Kongress brachte eine ausgezeichnete Standortbestimmung. Er zeigte, dass für exzellente ästhetische Ergebnisse nach implantatprothetischen Versorgungen exakte Planungen und oft auch ein hoher Aufwand betrieben werden muss, der sich heute mehr als früher vor allem am Weichgewebe orientiert. Sofortversorgungen sind demgegenüber in ihrer Bedeutung für die Ästhetik deutlich in den Hintergrund gerückt. Der Einsatz neuer Materialien (Keramiken, Kunststoffe) und Verfahren (CAD CAM) begünstigen das ästhetische Ergebnis und reduzieren im Vergleich zu metallkeramischen Versorgungen die extrem zunehmenden Kosten. Allerdings gibt es für viele Aussagen nur Einzelerfahrungen. Langzeitergebnisse liegen noch kaum vor. Für mich ist bei der Aufarbeitung des Kongresses deutlich geworden, wie zielgerichtet die Vorträge so nacheinander aufgebaut worden waren, dass sich ein umfassendes und komplexes Gesamtbild zum Thema Ästhetik in der Implantologie ergeben hat. Hierfür ist dem Tagungskomitee und seinem Leiter, Herrn Professor Haas zu danken ebenso wie für die Gastfreundschaft der Stadt Wien im Advent 2007. 

Dr. med. habil. Lutz Tischendorf, Niemeyerstr. 23 D-06110 Halle/Saale www.drtischendorf.de 

24.01.2008