2013
Impressionen vom 27. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Implantologie e.V. (DGI) vom 28. bis zum 30. November 2013 in Frankfurt am Main
Der Einladung des Präsidenten der DGI Dr. Gerhard Iglhaut (Memmingen) zu dem Jahreskongress unter dem Thema „Gemeinsam in die Zukunft" folgten über 1600 Implantologen. Die Programmgestaltung lag in den Händen von Herrn Professor Dr. Frank Schwarz aus Düsseldorf. Sie beinhaltete 44 teilweise parallel gehaltene eingeladene Vorträge, je ein Forum für Zahntechnik, Assistenz sowie der Arbeitsgemeinschaft Keramik und 8 Tischdemonstrationen. 18 der Vorträge können als DVD erworben werden.
Ich berichte über von mir besuchte Sitzungen: Professor Dr. Dr. Schultze- Mosgau aus Jena referierte über den Stellenwert oraler Implantate in der Gesundheitsversorgung. Verlängerte Lebenserwartung der Bevölkerung und besserer Gesundheitszustand führen zur höheren Nachfrage nach implantatprothetischen Versorgungen mit ihrem höheren Lebenskomfort , erfordern aber altersbedingte Anpassungen. Populationsbezogenen Studien zeigen eine Zunahme von Implantatversorgten in allen Lebensaltern. Das ist Folge verbesserter Implantate, ausgereifterer Erfahrungen und implantatbezogener Fortbildungen. Der Orthopäde Professor Dr. Marcus Jäger (Essen) beleuchtete den Stellenwert orthopädischer Implantate. Probleme großvolumiger und immens belasteter Hüft -und Knieimplantate sind nicht vergleichbar mit grazilen dentalen Implantaten, deren inserierte Anzahl aber ungleich höher ist. 10- Jahreserfolgsaussichten liegen für Hüftimplantate bei 95% und bei 90% für Knieimplantate. Anders als bei dentalen Implantaten spielen bewegungsbedingten Probleme des Abriebes eine Rolle, ein Durchtritt in ein keimbeladenes Milieu wie beim dentalen Implantat besteht hingegen nicht. Fragen der Materialeigenschaften und der Allergie sind für dentale und orthopädische Implantate gleichermaßen relevant. Professor Dr. Sören Jepsen (Bonn) diskutierte, wann ein übertriebener Zahnerhalt das Implantatlager kompromittiert. Ein Erhaltungsversuch beim parodontal geschädigten Zahn sollte mit einer Erfolgschance von78 bis 86% erfolgen. Einen rhetorisch herausragenden Vortrag hielt der Kongresspräsident Professor Dr. Frank Schwarz (Düsseldorf) zum Thema physiologischer versus pathologischer Knochenabbau nach Implantatinsertion. Übergänge sind fließend. Nach heutigem Erkenntnisstand könnte eine Verminderung des Knochenabbaus versucht werden durch operative Modifikationen der Weichgewebsdicke und der Implantatpositionierung sowie mittels Platform switching. Diese Standortbestimmung sollte man auf der bestellbaren DVD nachverfolgen. Das ist leider nicht möglich zu dem extrem gut strukturierten Vortrag von Prof Schliephake aus Göttingen. Er sprach zu Ridge preservation oder Sofortimplantation. Nach publizierten Daten hat beides einen fast identischen (0,5mm), aber letztlich doch in seinen Ausmaßen begrenztem positivem Einfluss auf den Erhalt des KIeferkammes nach Zahnentfernung. Bei der Sofortversorgung ist eine Auffüllung zum Alveolenrand oder eine Gewebeabdeckung erst ab Spaltbreiten über 5mm zu erwägen. Umfragen von Schmidinger zeigten den Rückgang der Anwendungshäufigkeit der ursprünglich euphorisch mit dem Ziel des Kiefererhaltes eingesetzte Sofortimplantation. Ästhetisch anspruchsvolle Ergebnisse erfordern anstelle der Sofortimplantation eine verzögerte Sofortimplantation mit Augmentation von Hart- und Weichgewebe. Professor Dr.Dr. Hendrik Terheyden (Kassel) besprach Implantationen bei Osteoporose. Speziell wurden Bisphosphonate bei vorbestehenden oder einzusetzenden Implantaten in ihrem Für und Wieder beleuchtet. Auch diesen Vortrag sollte man sich auf der DVD im Detail ansehen und die dazu existierende Leitlinie unter Erstautorschaft von Professor Dr.Dr. Knut Grötz aus Wiesbaden verinnerlichen. Zusammenfassend bot der Tagungsabschnitt „Schnittstelle Knochengewebe" eine klare Zusammenstellung aktueller Probleme und Ansätze zu deren Lösung mit Gültigkeit für den heutigen Tag.
Die „Schnittstelle Weichgewebe" steht noch nicht so lange im Blickpunkt der implantologischen Forschung. Professor Dr. Jan Derks aus Göteborg analysierte die Bedeutung der keratinisierten Gingiva für den Implantaterhalt. Nach vorliegenden Daten ist sie offenbar geringer als die der Weichgewebsdicke. Dr. Michael Stimmlmayer (Cham) stellte sein Vorgehen zur Weichgewebsoptimierung vor. Dr. Gerhard Iglhaut (Memmingen) analysierte neue Aspekte zur Revaskularisierung bei der Weichgewebsaugmentation, die wir sicher in seiner Habilitationsschrift ausführlicher wiederfinden werden. Frau Professor Dr. Nicole Arweiler (Marburg) beschäftigte sich mit der Prävention der zunehmend nach dem 5. Jahr eintretenden biofilmbedingten periimplantären Infektion unter antiseptischer Spülungen und – natürlich –eines gezielten Recalls. Darstellungen zu „Schnittstellen Suprakonstruktionen und Patient" kann ich nicht besprechen, da zeitgleich Wettbewerbsbeiträge zu bewerten waren. Wichtige Aspekte sind zu finden in der aktuellen Leitlinie zur Implantatversorgung im Oberkiefer und auf einigen DVDs.
Im Wettbewerb standen 19 Poster und 20 Kurzvorträge. Das Niveau war im Vergleich zu Vorjahren erfreulich angestiegen, die Anzahl aber viel zu gering im Vergleich zur EAO- Tagung in Dublin, wo 400 Poster gezeigt wurden. Das hat nicht nur etwas zu tun mit der Einordnung dieser Wettbewerbe durch die Kongressveranstalter, sondern auch mit dem derzeit von der DGI ausgesetzten Preisgeld von nur 500 Euro! Die Tagungsjury entschied sich einstimmig für ein Poster von Frau Dr. Alexandra Spanou und Mitarbeitern aus Freiburg. Es zeigte in allogenen Knochenblöcken Proteinreste und damit genetische Spenderinformationen nach Sterilisation. Als besten Kurzvortrag aus Universitäten kürten wir einen Beitrag von Professor Dr. Dr. Ralf Smeets und Mitarbeitern aus Hamburg zu Entwicklung und Perspektiven von Seidenmembranen. Als bester Kurzvortrag aus der Praxis wurde ausgezeichnet eine prospektive Studie von Frau Stanke und Mitautoren aus Münster zur medikamentösen Beeinflussung des Beschwerdeprofils im Rahmen der Implantologie mittels Ibuprofen mit und ohne Clindamycin oder Prednisolon. Mir besser gefallen hat eine zeitbezogene Analyse von 10 000 Implantaten aus 20 Jahren von Dr. med. habil. Wolfram Knöfler und seinen Mitautoren aus Leipzig. Sie fanden unter anderem, dass die 20- jährige Erfolgswahrscheinlichkeit von Implantatbehandlungen bei einem Mittelwert von 90% erfahrungsbezogen ist. Sie verbessert sich deutlich nach etwa 10jährigen oder 1000 persönlich gesetzten Implantaten.
Den zweiten Tag leitet das neue Ehrenmitglied der Gesellschaft, Professor Dr. Niklas Lang mit einem Vortrag zur Bedeutung dentaler Implantate für das Gesundheitswesen ein. Sein Streifzug als Herausgeber der bedeutendsten Zeitschrift für Implantologie (Clinical oral implant research) war hoch aktuell und wohl begründet und berührte auch aktuell erneut diskutierte Frage zum Wesen des Implantateinbaues- Fremdkörper? Erosion? Allergie? vom Körper nicht erkannte Infektion? Er fasste die Indikationen für Implantatversorgung konservativ zusammen in: 1. Bewahrung eigener Substanz , 2.Verbeserung des subjektiven Kaukomforts und 3. Ersatz strategisch wichtiger Pfeiler.
Im „internationalen Forum" stellten zu einer Problematik jeweils 2 Autoren ihre Konzepte vor. Dr. Ueli Grunder (Zürich) demonstrierte in einem rhetorisch und inhaltlich herausragenden Vortrag seine strukturierten und auf immenser Erfahrung basierenden Behandlungskonzepte für die ästhetische Zone- beginnend mit der Zahnentfernung über die Versorgung des Alveolarfortsatzes (ohne Socket preservation, aber fast stets mit Weichgewebs- und Knochenaufbau mit nicht resorbierbaren Membranen) bis zur Implantatinsertion und sekundären Korrekturen Sie werden ausgewählt nach vorliegenden Ausgangssituationen. Er verschwieg nicht auftretende Probleme und beschrieb dafür Lösungsmöglichkeiten. Dr. Karl Ludwig Ackermann (Filderstadt) stellte sein in vielem ähnliches Vorgehen dar, das mit Socket preservation und Osteodistraktion andere Schwerpunkte setzte.
Die beiden Referate zur Periimplantitis- Professor Dr. Stefan Renvert aus Kristinsstad und Dublin einerseits sowie Professor Dr. Jürgen Becker aus Düsseldorf andererseits- unterschieden sich im Grundtenor nicht wesentlich. Konservatives Vorgehen selbst mittels Laser allein ist selten ausreichend. Das Düsseldorfer Konzept hat experimentell und klinisch die Differentialindikation für eine risikoadaptierte Behandlung in Abhängigkeit vom periimplantären Knochenbefund begründet. Nur selten- bei intraalveolären Defekten der Klasse Ie- sind regenerative Maßnahmen erfolgversprechend. Die Explanation verbleibt als Ultima ratio. Beide Referenten sind Autoren von Büchern, die heute zum Grundkanon der Periimplantitistherapie gehören.
Den Tagungspunkt zu aktuellen Entwicklungen in der Implantologie und die Videosession über Alternativen zur Implantologie habe ich mir nicht angehört, weil es zeitgleich etwas Neues gab: Es wurden ein Forum für die nächste Generation eingeführt. Approbationsordnung, Lernzielkatalog sowie prä- und postgraduale implantologische Ausbildungen wurden angeschnitten. Studierende konfrontierten Studierende 4 Zahnärzte mit Entwicklungswegen in die Praxis, in die Hochschule und in die Industrie mit ihren Anfragen. Das Novum mit seinen interessanten, manchmal verwirrenden Schwerpunktzuordnungen der Anfragen seitens der zukünftigen Implantologengeneration und mit seinen Statements war hoch spannend auch oder gerade für einen alten Implantologen. Abstracts fast aller Vorträge finden wir in: Z Zahnärztl Impl 2013: 29 (4) 352-382.
12 Workshops der Industrie, Seminare zum „dginet" und zum web2.0 und einer Industrieausstellung ergänzten das Programm. Den Festvortrag zur Perspektive der Gesundheitspolitik hielt Professor Dr Eberhard Wille, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundesministerium für Wirtschaft. Eine „Night to remember" unter Moderation von Bärbel Schäfer rief Etappen der DGI in Erinnerung mit persönlichen Beiträgen ihrer früheren Präsidenten Duelund, Schmidinger, Streckbein, Schliephake, Dhom und Terheyden. Das weckte bei DGI-Mitgliedern der ersten Stunde Erinnerungen an einen beispiellosen, wenn auch nichts widerspruchfreien Weg einer gemeinsamen Gesellschaft aus der Praxis und aus der Wissenschaft, die von dem unvergessenen Professor Spiekermann und Dr. Duelund gegründet worden war. Höhepunkt des Abends war die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft an Herrn Professor Niklas Lang mit einer hoffentlich bald publizierten Laudatio durch Herrn Professor Frank Schwarz.
Der DGI Kongress 2013 wird wegen einer sorgfältigen Auswahl von Themen mit Beschränkung auf Wesentliches, durch hervorragende Referenten und auch durch seine Innovationen im Gedächtnis bleiben. Er trug die klare Handschrift des Kongresspräsidenten Professor Frank Schwarz, wofür die Teilnehmer sich bedanken möchten. Nächstes Jahr vom 27. bis 29.11.2014 treffen wir uns an dessen Wirkungsstätte in Düsseldorf.
1.2.2014 Lutz Tischendorf (Halle an der Saale www.drtischendorf.de)